„Die Formen werden uns bedeutend dadurch allein, dass wir in ihnen den Ausdruck einer fühlenden Seele erkennen. Unwillkürlich beseelen wir jedes Ding. Das ist ein uralter Trieb des Menschen.“1
Mitte der 1980er Jahre, noch relativ am Anfang seiner künstlerischen Karriere, schafft Alois Schild eine Serie von Arbeiten, die er unter dem Namen Körpermaschinen zusammenfasst. Diese Körpermaschinen bestehen, wie ihr Name sagt, aus einer Verbindung des menschlichen Körpers mit merkwürdigen, phantastischen, surreal anmutenden Maschinen. Die Körpermaschinen existieren nicht als autonome Skulpturen, sondern als Fotodokumente. Nackte Menschen benutzen auf den Fotoarbeiten diese Maschinen, haben sie übergestülpt, sind in sie eingespannt, oder tragen sie wie Sauerstoffflaschen auf dem Rücken. Häufig kehrt das Motiv des Rads in den Fotografien wieder und suggeriert Bewegung, Fortschritt, Funktionalität.
Die Körpermaschinen können nicht eindeutig einer Kunstform zugeordnet werden. Trotz ihres skulpturalen Charakters oszillieren sie vor allem zwischen Performance und inszenierter Fotografie. Bei einigen Arbeiten handelt es sich eindeutig um Inszenierungen für den Fotoapparat, wenn etwa einer der Protagonisten in die Kamera schaut und keine Bewegung denkbar ist. Andere Fotografien sind stark performativ, werden vom Betrachter als Teil einer Serie oder eines Bewegungsablaufs aufgefasst. Der inszenatorische Charakter ist jedoch allen Fotos eigen. Man darf sich an die Aktionen Rudolf Schwarzkoglers erinnern, inszenierte Fotografien, die als Dokumentation einer fortlaufenden Handlung gelesen werden.
Eine weitere Parallele zwischen Schwarzkoglers Aktionen und Schilds Körpermaschinen besteht in der Verletzlichkeit des nackten menschlichen Körpers. Schilds Maschinen sehen häufig gefährlich aus. Sie sind scharfkantig, voller Spitzen und scheinen Fallen für diejenigen zu sein, die Sie benutzen. Umso bedrohlicher wirken sie, da die Menschen, die sie benutzen, nackt sind und ihnen schutzlos ausgeliefert zu sein scheinen. Technische Apparate, die uns Arbeit abnehmen bzw. gewisse Funktionen erfüllen, prägen die Geschichte der menschlichen Zivilisation. Vom einfachen Werkzeug bis zum selbständigen Roboter, von der Prothese bis zur Waffe kennen wir Artefakte unterschiedlichster Komplexität und Autonomie. Auch Schilds Maschinen sind recht unterschiedlich. Einige erinnern an komplexe Maschinen aus der Industrie, andere an Fortbewegungsmittel, wieder andere suggerieren eine Funktionalität, die aber nicht erraten werden kann und sehr viele von ihnen könnten Folterinstrumente sein.
Natürlich haben die Arbeiten keine Funktion im herkömmlichen Sinn. Es sind Kunstwerke, die nach ganz anderen Kriterien zu bewerten sind. Sie entziehen sich der Rationalität der Alltagswelt und setzen im Gegensatz dazu auf ihre Ästhetik. Dennoch ist die Suche nach außerkünstlerischen Referenzen für die Annäherung an die Arbeiten wichtig. Schließlich erschöpft sich der ästhetische Wert von Kunst nicht in ihrer rein äußerlichen Wirkung, sondern hängt viel mehr vom assoziativen Potenzial der Arbeiten und den Bezügen zur Objektwelt ab. Welche Betrachtung der Maschinenwelt lässt sich aus Schilds Fotografien der Körpermaschinen herauslesen, wie kommentiert sie der Künstler? Für den Betrachter bietet sich hierbei ein ambivalentes Bild. Die Körpermaschinen sind kritisch und affirmativ zugleich. Der Künstler geht spielerisch mit seinen Materialien und mit Alltagsgegenständen um. Er zeigt in seiner Verwendung von Wasserhähnen als Masken Humor, eine der Arbeiten erinnert an eine Seifenkiste und offenbart geradezu kindliches Vergnügen an Kunst als Spiel. Gleichzeitig bleiben die Maschinen im assoziativen Feld der Folterinstrumente, der Unterdrückung des Körpers in entmenschlichenden Versuchen oder in einer rationalistischen Maschinenwelt, in der Menschen auf das Maschinelle und ihre Arbeitskraft reduziert werden.
In einer seiner Maschinen ist Schild selbst kopfüber in ein Wägelchen gezwängt, dass von einem anderen Akteur bedient wird. Ein Foto zeigt einen Menschen, der einen Helm mit einem merkwürdigen Aufbau auf dem Kopf hat, vor einer Gerätschaft sitzt und in ein Mundstück bläst, das über einen Schlauch mit einer Zählvorrichtung und einem tellerförmigen Metallgebilde verbunden ist. In einem Foto steht der Künstler mit einem gasmaskenartigen Mundschutz vornüber gebeugt auf einem Drehstuhl. In einem anderen ist er auf dem Rücken liegend in ein undefinierbares Gerät gespannt, das aus zwei Rollen besteht, die über Eisengurte mit einer metallenen Kopfbedeckung verbunden ist. In einer Maschine sitzt ein Akteur auf einer kleinen Plattform mit Rädern und hat ein überdimensioniertes kugelförmiges Ding über den Kopf gestülpt. Es ist nicht zu erraten, was hier stattfindet, die Strukturen erinnern aber sehr an düstere Aufbauten für Menschenversuche. Einige der Körpermaschinen sind voller Eisenzacken und scharfen Kanten, inmitten derer die extreme Verletzlichkeit des entblößten Menschen deutlich wird. Andere Objekte erinnern an echte Maschinen, bleiben aber funktionslos. Diese funktionslosen Geräte sind eine künstlerisch-ironische Antwort auf eine Welt, die allzu oft von blinder Rationalität beherrscht wird.
Alois Schild ist nicht der erste Künstler, der diesen Aspekt unserer Realität problematisiert. Ab Mitte des ersten Weltkriegs waren es die Dadaisten, die mit ihren absurden Aktionen eine Welt bloßstellten, in der zwar alles effizient funktionierte, dies aber nicht moralisch hinterfragt wurde. Während die Futuristen noch den Maschinenlärm als schönste Symphonie deklarierten und die Technik verherrlichten, kritisierten die Dadaisten diese Rationalität, die ihrer Meinung nach in die bis dato größte moralische Katastrophe der Menschheit, den ersten Weltkrieg geführt hatte. Und tatsächlich heißt es bei Filippo Marinetti: „Der Krieg ist schön, weil er dank der Gasmasken, der schreckenerregenden Megaphone, der Flammenwerfer und der kleinen Tanks die Herrschaft des Menschen über die Maschine begründet. Der Krieg ist schön, weil er die erträumte Metallisierung des menschlichen Körpers inauguriert.“2 Gegen diese Reduzierung des Mensch auf das reine Funktionieren kämpften die Dadaisten mit ihren Unsinnsaktionen an und auch Schilds Körpermaschinen stehen in einer Tradition mit diesem Widerstand gegen maschinelle Blindheit, bei der letztendlich der Mensch auf der Strecke bleiben muss. Und wie die Aktionen der Dadaisten, bauen auch seine absurden Maschinen auf den Witz als Erkenntnismittel.