»Alois Schilds poetische Schöpfungen aus den Materialien Eisen und Sprache« Hannah Stegmayer

Hans Christian Anderson schreibt von seiner Begeisterung für alte, weggeworfene Gegenstände. Straßenlaternen oder Eimer, die ausgedient haben, erzählen noch eine Geschichte, wenn sie schon zu nichts mehr nutze sind, denn gerade in ihrer Zweckfreiheit entsteht Poesie. Aus dieser Poetisierung des Alltäglichen entstehen bei dem Dichter unglaubliche Erzählläufe, die ebenso phantastisch enden. 

Die Plastiken Alois Schilds erinnern an bekannte Dinge, ohne dass man sie jedoch eindeutig benennen könnte. Die sprechenden Titel, die ganze Geschichten evozieren, beflügeln unsere Phantasie intensiv und stemmen sich gleichzeitig vehement gegen die Logik des Entschlüsselns und Erkennens, obwohl sie nur deshalb so anregend sind, weil wir uns ständig um ein Verständnis bemühen. „Der Flugversuch der keuschen Sekretärin“ oder „Lesezeichen für Analphabeten“ scheinen zunächst durchaus nachvollziehbar, auf den zweiten Blick jedoch sind sie entweder unmöglich oder paradox wie die Bilder in Alices Wunderland. Wir wechseln mit der Betrachtung der Skulpturenwelt des Alois Schild in eine vollends andere Welt, die uns ganz unerwartet trifft. Und die einzig angemessene Reaktion darauf ist die kindliche Freude, wenn wir Anspielungen erraten, die der Künstler bewusst herbeiführen möchte, oder die wir selbst an die Metallobjekte herantragen.

Auch Marcel Duchamp beschreibt, wie durch Kunst Poesie entsteht. Durch neue Kombinationen bekannter Formen, deren Logik nicht mehr erkennbar ist, entstehen Erotik und Unmittelbarkeit. Der Betrachter, der offen ist für das Gedankenspiel, erlebt zwar keine Befriedigung im üblichen Sinne, aber an ihre Stelle tritt der Humor. Duchamps „Junggesellenmaschine“ etwa lässt unendliche Deutungen zu, man muss sich ihr über Sprache ebenso nähern wie über die bildhafte Wahrnehmung, denn nur so ist das ständige Wechselspiel von Sehen und Vorstellen möglich. 

Was bei Duchamp sehr abstrakt funktioniert, geschieht bei Alois Schild über eher anschauliche Details, die sehr direkt figürlich sind oder zumindest organisch, so als würden sie wie selbstverständlich wuchern. Die Formensprache des Künstlers ist sehr nah an der Natur, nur eben aus dem mikroskopischen in den makroskopischen Bereich übertragen oder zumindest seltsam vergrößert, so dass die Wahrnehmung des Betrachters davon eigenartig berührt wird. Angesichts der großen Metallobjekte gehen die Relationen verloren, und der Betrachter fühlt sich in eine Kinderwelt versetzt, wie er sie wiederum nur aus dem Märchen kennt. Dies könnte der Schlüssel für eine Formensprache sein, die sehr frei ist von jeglichem Sinn, ohne zugleich unsinnig zu sein, denn sie befreit den Betrachter aus den gewohnten Denkmustern und lässt ihn selbständig schöpferisch werden.

Lautréamont findet eine Verkürzung für den so genannten Surrealismus, nämlich das Zusammentreffen einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Seziertisch. Wenn daraus nicht eine Geschichte entstehen sollte! Wenn nicht die graduelle Überschreitung des Realen überraschender und überwältigender wäre als das Gewohnte! Alois Schilds „Dreibeiniges Bügeleisen“ oder sein „Radarmöbel“ sind ein Beleg für das Zusammentreffen entfernter Gegenstände, deren Synthese schließlich zu absurden Gebilden führt. Zwar weisen zwei immense Griffe noch auf die Brauchbarkeit, ja sogar Benutzbarkeit der Metallobjekte hin, und doch sind sie so wenig zweckmäßig, dass die Fährte, welche ihre Titel noch legen, zwar nachvollziehbar aber dennoch völlig verrückt ist. Nicht nur, weil die Dimension hier überspitzt ist, sondern, weil wir uns ertappt fühlen, wie schnell wir diese gedankliche Übung mitmachen. So beweglich also ist unsere Phantasie und so kreativ unsere Einordnungsfähigkeit angesichts fremdartiger Gegenstände. So funktioniert unsere Orientierung in der Welt: Kognition erzeugt Assoziationen mit Bekanntem, und Kunst macht diese Fähigkeit sichtbar.

Die Skulptur des 20. und 21. Jahrhunderts setzt an die Stelle der Abbildung entweder die Abstraktion oder die geringfügige Verfremdung von Gegenständen. Neue Materialien kommen ins Spiel, Stein, Holz und Ton werden ersetzt durch Metall oder Kunststoff. Die Plastik arbeitet additiv bzw. konstruktiv, dehnt sich im Raum aus, wird zum Objekt und löst den Wettstreit zwischen Malerei und Skulptur ab, indem sie selbst farbig wird. Auf dieser Grundlage arbeitet Alois Schild, und er hat viele Vorläufer und Strömungen, an denen er sich orientieren kann. Vor allem aber verzichtet Alois Schild auf das Pathetische der Darstellung, sogar in den monumentalen Großskulpturen, und er sucht nach spielerischen Möglichkeiten, wie sie die Dadaisten, die Surrealisten oder die Künstler der Pop-Art für ihr künstlerisches Schaffen gefunden haben, um damit das Wesen der Kunst auszudrücken, das für ihn in sozialem Austausch und in der autoritätsfreien Kommunikation mit dem Betrachter besteht.

Nach einer Serie kleiner figürlicher Metallobjekte (Orionopolis), die menschliche Züge karrikaturenhaft verkürzen und den Betrachter damit direkt treffen, folgt eine Reihe reliefartiger aber vollplastischer Metallsilhouetten, deren Kurven und Gegenkurven so ironisch sind, dass man sie als gegenständliche Anspielungen verstehen möchte, obwohl sie nichts anderes ausbilden als Wölbungen und Gegenwölbungen („Landschaftsorden“, „Schwimmende Skulpturen“). Sie erinnern in ihrer Konfiguration und poetischen Vollkommenheit an die Arbeiten des Dadaisten Hans Arp. Die Verwendung starker Grundfarben – Alois Schild verbirgt damit das Arbeitsmaterial Eisen –  und die Reduktion auf die Form macht sie zu völlig zweckfreien Kunstformen.

Unter dem Titel „Panoptikum“ entstehen die eigenwilligsten Schöpfungen Alois Schilds. Großformatige, schuppenartig verschweißte Objekte, meist aus rostigem Eisen, liegen oder stehen in der Landschaft und zeugen von einer dubiosen Funktion bzw. Brauchbarkeit. Surreale Objekte, als „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“, „Dreibeiniges Bügeleisen“, „Radarmöbel“ oder „Blüte“ betitelt, verbinden Pilz- und Phalluselemente mit technischen Bestandteilen, eventuell erkennt der Betrachter darin Demonstrationsobjekte der Bionik oder der Biomimetik. Jedenfalls kombinieren sie Elemente aus unterschiedlichen Gegenstandsbereichen und erzeugen damit sehr eindrucksvolle Metaphern, die genauso fremd wie bekannt und gewohnt scheinen. Der Künstler treibt hier die kombinatorische und transformatorische Begabung von Kunstwerken auf die Spitze, und es kommt zu völlig logischen Verbindungen und Übergängen heterogenster Teile, wodurch etwas ganz Neuartiges und Außerordentliches möglich wird.

Wenn nicht unmittelbar aus dem Material Eisen, so entwickelt Alois Schild viele seiner Plastiken aus dem Sprachspiel. Was sich hinter dem Begriff „Präkolumbianische Gartenmöbel“ verbirgt, könnte man nicht erraten, denn dieser Neologismus ist dadurch gekennzeichnet, dass er zuerst den Begriff und erst dann die Tatsachen dazu schafft. Rostige oder lackierte Stahlskulpturen spielen zunächst mit dem Begriff des Möbels, das im Zusammenhang mit der Skulptur im öffentlichen Raum gern abwertend gebraucht wird, nämlich als so genannte Möblierung desselben, womit die unangebrachte Aufstellung überflüssiger, weil aussageloser oder den Kontext nicht berücksichtigender Skulpturen gemeint ist. Alois Schilds Mobiliar nun scheint zunächst einen Zweck vorzutäuschen, denn als „Klappsesselsonne“, „Klavier der Natur“ oder gar „Lesezeichen für Analphabeten“ daher kommende Eisenobjekte transportieren zumindest im Titel diese Funktionen. Allerdings besteht ihr Reiz eher in der Nicht-Erfüllung des Erwarteten, denn wie sie auch auf den ersten Blick durchaus annähernd mit diesen Bezeichnungen in Übereinstimmung gebracht werden können, enttäuschen sie doch bei genauer Betrachtung. Allerdings hält sich der Betrachter eine ganze Weile mit ihnen auf, denn sie bilden einen Widerstand gegen den schnellen Zugriff und den einfachen Konsum und wünschen sich keinen Passanten als Ansprechpartner, sondern einen Mitspieler.

Alois Schilds Formensprache ist reichhaltig, jeder Werkzyklus bevorzugt eine besondere Vorliebe für eine spezifische Verarbeitung des Metalls. Gleichzeitig mit den runden Formen der „Präkolumbianischen Gartenmöbel“ entstehen röhrenartige Objekte („Gartenzwergraumschiff“). Sie erlauben großes Volumen bei gleichzeitig geringerer Masse. Diesen Vorteil nutzt Alois Schild für transparente, fragil wirkende Objekte, die er temporär oder fest installiert. Sie erreichen eine große Horizontal- oder Höhenstreckung und vervollkommnen die nicht zu unterschätzende handwerkliche Virtuosität Alois Schilds, dessen gründliche Kenntnisse des Schmiedens und Schweißens eine Voraussetzung für das freie Formenspiel seiner Plastiken darstellen. 

Der dänische Bildhauer Robert Jacobsen, der wie Alois Schild ein gelernter Mechaniker war, beschreibt den Vorzug des Materials, das nur einen einzigen Stützpunkt auf dem Boden braucht, um sich von dort aus in alle Richtungen zu entfalten: „Was mich anbetrifft, so ist das Leere die Form und das Metall die Kontur dieser Form. Das ergibt also zwei Formen: das Leere und die Kontur.“ 

Natürlich kommt Alois Schild an zwei wesentlichen Vorbildern nicht vorbei, an den Schweizern Jean Tinguely und Bernhard Luginbühl. Während bei Tinguely der Zufallsprozess bis zur Selbstzerstörung der bewegten Objekte eine große Rolle spielt, benutzt Luginbühl fabrikneue Metallelemente und schafft mit ihnen Metamorphosen, deren Witz in der Täuschung zwischen Wirklichkeit und Phantasie besteht. Bei beiden entstehen Großplastiken von gewaltigen Ausmaßen. Was Alois Schild davon jedoch unterscheidet, ist das eigene Formenspiel, das sich nicht mit vorgefundenen Teilen begnügt. Seine Arbeiten sind nicht nur verschraubt und vernietet, sondern greifen immer wieder auf die einmal entwickelten Elemente zurück, die er beinahe versatzstückartig wieder verwenden kann. Sein „Eisernes Raumschiff mit einer heimatlosen Galionsfigur“ ist ein völlig eigenständiges Gebilde, das sämtliche Formen und Schweißtechniken noch einmal aufgreift und zu einem Monumentalwerk macht, ganz aus einem Guss. 

Die Spielformen des Künstlers Alois Schild sind unendlich, das Material lässt ihm viele Möglichkeiten und gestalterische Freiheiten, und doch ist seine Handschrift unverkennbar. Große Materialgewalt, ohne gewalttätig zu sein, große Spielfreude mit Material und Sprache, anspielungsreiche Metamorphosen zeichnen ihn als kommunikativen Künstler aus, der sich mit seinen Arbeiten nicht aus der Welt zurückziehen sondern mit ihr in Kontakt kommen möchte. 

Insofern ist Alois Schild ein politischer Mensch. Wenn er es für nötig hält, wird seine künstlerische Sprache auch sehr direkt, und seine Kunst will ein Anstoß sein für seine Zeitgenossen. Seine „sozialpolitischen“ Großplastiken widersetzen sich der Unverbindlichkeit erbaulicher oder dekorativer Kunst und suchen das Gespräch auch bei heiklen Themen wie der Euthanasie im Dritten Reich oder dem Faschismus in seinem Heimatland. („Steckenpferd des Diktators“, „Eisernes Raumschiff mit einer heimatlosen Galionsfigur“, „Obdachlosen Denkmal“, „Herz Jesu Plastik“).

Er darf dies, weil ihn mit Österreich eine starke Identifikation verbindet.

Stegmayer, Hannah (2007): Alois Schilds poetische Schöpfungen aus den Materialien Eisen und Sprache. In: Alois Schild, Wie im Himmel so auf Erden, Unverhoffte Stahlgewitter und abergläubiges Inselspringen, Werke 1984-2007. Alois Schild, Kramsach.